Gespräch

... aus einem Gespräch unter Geschwistern


Markus: ... ich erinnere mich noch an die Zeit,
als wir nachts durch die Strassen gelaufen sind
und die gebrauchten Illustrierten und Zeitungen
eingesammelt haben, die man damals noch vor
die Türe legte. Du bist dann zwischen diesen hohen
Stapeln Papier gesessen und hast alles, was du
für deine Collagen brauchen konntest ausge -
schnitten oder herausgerissen. Du warst nicht
mehr ansprechbar, vollkommen versunken ...

Manû: Ja, ich fühlte mich wie der kleine Junge
aus dem Märchen „Die Schneekönigin". Der saß
da in diesem Eispalast und musste irgendwelche
Rätsel lösen ...

Markus: Dein Geld hast du in dieser Zeit mit allen
möglichen Jobs verdient. Unter anderem hast du
in Filmen gespielt, als Fotomodell gearbeitet. Wie
siehst du diese Zeit im Rückblick?

Manû: Meine Vergangenheit war genau richtig. Sie
hat mich dahin gebracht, wo ich heute stehe. Ich war
bisher immer am richtigen Ort zur richtigen Zeit.
Das alles war und ist ja nichts als lernen.

Markus: Würdest du dich als Künstlerin bezeichnen?

Manû: Künstler ist für mich eher ein Titel als eine
Berufsbezeichnung ... sich Künstler zu nennen fühlt
sich etwas überheblich an, vor allem, wenn man damit
nicht reich und berühmt geworden ist. Deshalb sehe
ich mich lieber als Lernende ... oder als Sammlerin -
ja, Sammlerin gefällt mir!

Markus: Und was sammelst du im Moment?

Manû: Zur Zeit bin ich vor allem Sammlerin meiner
selbst. Nach den langen Jahren, die ich unsere Mutter
gepflegt habe, bin ich mir etwas abhanden gekommen.

Markus: Ich konnte nicht helfen, ich war zu weit weg.
War es sehr schwer für dich?

Manû: Es war die härteste Konfrontation mit dem
Leben überhaupt. Aber es war auch ein Gewinn im
Unglück. Das heißt, eine reiche Erfahrung. Jetzt fühle
ich mich wie ein Baum mit einem neuen Zweig.

Markus: Was ist das Wichtigste für eine Sammlerin?

Manû: Aufmerksamkeit. Und Neugier natürlich!
Markus: Du machst so viele verschiedene Sachen ...

Manû: Ist doch schön! Wie soll ich mich in einer so
schnellen verrückten Welt statisch verhalten? Und wenn
man mich gut kennt, sieht man doch sehr schnell dass
alles zusammen passt.

Markus: Wie kamst du darauf Wächter zu malen?

Manû: Ich kam ins Krankenhaus mit einem Nabelbruch.
Noch am selben Tag besuchte mich mein damaliger Mentor
und Lehrer Herbert Kreil. Er fragte mich, was er mir Gutes
tun könne und ich bat ihn, mir einen kleinen Wächter, einen
Schutzgeist zu malen. Am nächsten Tag brachte er mir dann
Obst, Schokolade und Bücher, aber keinen Wächter. Er
meinte, den könne ich mir nur selber malen. Als ich dann
wieder gesund war, machte ich mich an die Arbeit ...

Markus: Diese Wächter wirken auf mich teilweise sehr
streng und düster ...

Manû: Ja?! Aber ich habe das beruhigende Gefühl, unter
Freunden zu sein.

Markus: Im krassen Gegensatz zu den Wächtern und
allem anderen was du gemalt hast, steht „Das große Fest".

Manû: Erstmal hatte wieder Sehnsucht nach Farbe!
Einige meiner Freundinnen hatten zu dieser Zeit
Liebeskummer, Politiker stürzten über Sexaffären, ich
selbst war mit jemandem befreundet, der hauptsächlich nur
das eine im Kopf hatte ... es machte mir einfach großen Spaß,
das Thema Sexualität und Macht zu parodieren. Es war eine
wirklich heitere Arbeit!

Markus: Soweit ich mich erinnere, gab es ein paar Leute
die ein Problem mit dieser Wand hatten ...

Manû: Unter uns gesagt, die Probleme der Betrachter meiner
Bilder sind mir völlig egal. Und Kunst ist doch nicht dazu da,
immer nur angenehm zu berühren.

Markus: War Sexualität damals ein wichtiges Thema für
dich?

Manû: Nein. Nicht wichtiger als Essen und Schlafen ...
Ausgerechnet Henry Miller hat etwas Erstaunliches zu diesem
Thema gesagt:„Wenn man kein gutes Leben führt, kein reiches
und erfülltes Leben, verfällt man dem Sex. Die Sexualität wird
zu dem great comforter, dem großen Tröster. Man möchte dann
einfach ins Nichts fallen." Das sehe ich auch so.

Markus: Du hast 1996 in Heidelberg mit Cornelius Gohlke
zusammen gearbeitet. Er inszenierte dort am Theater
„Die Zofen" von Jean Genet. Du hast das Bühnenbild und
die Kostüme gemacht.
Danach hast Du das Theaterstück „Anima Bandit" geschrieben,
welches Cornelius Gohlke dann in Stuttgart inszenierte. Für
diese Arbeiten hast Du Anerkennung bekommen. Warum hast
du damit nicht weiter gemacht?

Manû: Genau in dieser Zeit fing ich auch an, mich regelmäßig
um unsere Mutter zu kümmern. Ich dachte, das bekomme ich
alles unter einen Hut.
Die ersten Jahre schaffte ich das auch noch irgendwie ... aber
eben nur irgendwie ...Viele wissen das nicht, aber einen alten,
traurigen Menschen zu pflegen ist schwerste Arbeit. Vor allem,
weil man ja dafür von keiner oder kaum einer Seite Anerkennung
bekommt. Und im Rückblick kann ich sagen, es war für mich
bisher die schwerste Arbeit. Mit dem Schreiben habe ich aber
nie aufgehört, ich habe nur nichts mehr nach draußen gebracht.

Markus: Existieren die Menschen, die in deinen Geschichten
vorkommen, so, wie du sie beschrieben hast?

Manû: Ja. Natürlich. Aber ich dichte ihnen etwas dazu, oder
nehme ihnen etwas weg, denn sie bewegen sich ja, sobald ich
über sie schreibe, in meiner Welt.

Markus: Und wie unterscheidet sich Malen vom Schreiben,
oder fühlt es sich für dich gleich an?

Manû: Malen ist wie wandern, gehen, an einem langen ruhigen
Fluss. Angeln, schwimmen, tauchen ...
Das Schreiben ist für mich laut, immer laut, wie rennen, springen ...
Hier hechte ich über Häuser und Straßen, springe von Dächern
und selbst, wenn ich mal durch nächtliche Straßen laufe, ist da
immer ein Stimmengewirr, ein Summen.
Die Ruhe beim Schreiben kommt bei mir immer erst mit dem
letzten Satz.

Markus: Wenn du etwas über Kunst sagen solltest, was fällt dir
spontan dazu ein?

Manû: Ein Satz von Fernando Pessoa: „Die Kunst wohnt in der
gleichen Straße wie das Leben, nur an einem anderen Ort."

Markus: Und was wünschst du dir für die Zukunft?

Manû: Einen Perlenberg für meinen alten Hals, Schuhe mit
Nerzeinlage (lacht). Nein! Ich möchte schreiben, trinken und gut
essen, alles andere ist zu kompliziert.


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